Zur Geschichte der Sinisierung des Katholizismus in China

Zhuo Xinping
Seit einer programmatischen Rede Xi Jinpings zur Einheitsfrontarbeit im Jahr 2015 ist „Sinisierung“ (Zhongguohua 中国化) eine grundlegende religionspolitische Forderung des chinesischen Staates an die Religionen. Zhuo Xinping 卓新平 (geb. 1955) gilt als einer der Forscher, die seitens der chinesischen Religionswissenschaft diesen Begriff geprägt und vorgeschlagen haben. Zhuo kommt aus der Christentumsforschung. Er hat die Entwicklung der chinesischen Religionswissenschaft ab den späten 1980er Jahren maßgeblich mitbestimmt und dabei eine Sicht von Religion als Bestandteil menschlicher Kultur vertreten. Zhuo kam bereits 1978 zum Masterstudium ans Institut für Weltreligionen (IWR) der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in Beijing und war danach dort tätig, unterbrochen durch einen Promotionsaufenthalt an der LMU München in den 1980er Jahren. Von 1998 bis 2018 war Zhuo Direktor des IWR. Er war außerdem viele Jahre Vorsitzender der Chinesischen Vereinigung für Religionswissenschaft sowie von 2008 bis März 2023 Mitglied im Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses.
Der folgende Text ist ein Vortrag, den Zhuo Xinping am 20. März 2023 vor Dozenten und Studierenden des Katholischen theologisch-philosophischen Seminars von Shaanxi in Xi’an hielt (vgl. China heute 2023, Nr. 1, S. 21). Kern des Textes ist die Vorstellung von fünf chinesischen Katholiken, die Zhuos Ansicht nach im Lauf der chinesischen Kirchengeschichte herausragende Beiträge für die Begegnung zwischen östlicher und westlicher Kultur und für die „Sinisierung“ der christlichen Theologie geleistet haben. Es handelt sich um anerkannte Größen der chinesischen Kirchengeschichte. Xu Guangqi (1562–1633) war einer der bedeutendsten Konvertiten, ein Staatsmann und Freund des Jesuitenmissionars Matteo Ricci. Ma Xiangbo (1840–1939), ursprünglich ein Jesuit, engagierte sich im Bildungswesen und gründete mehrere Hochschulen. Der Jesuit Xu Zongze (1886–1947), ein Nachfahre Xu Guangqis, gab in der Republikzeit die Zeitschrift Revue Catholique heraus, für die er selbst zahlreiche Beiträge verfasste, und schrieb grundlegende Werke zur chinesischen Kirchengeschichte. Wu Jing­xiong (1899–1986) war Jurist und Diplomat, u.a. 1947–1949 Botschafter der Republik China beim Heiligen Stuhl; zu seinen christlichen Schriften gehört eine Übersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen in die klassische chinesische Schriftsprache. Der Jesuit Zhang Chunshen (1929–2015) gilt als Pionier einer chinesisch inkulturierten Theologie, die er in Taiwan entwickelte.
Zhuos Sicht auf diese fünf Gestalten ist keine innerkirchliche, sondern erfolgt aus der Perspektive eines nicht-christlichen chinesischen Religionswissenschaftlers an einem staatlichen Think Tank. Sein Fokus liegt deshalb auch darauf, wie diese fünf Persönlichkeiten christliche Glaubenslehren mit Konzepten der traditionellen chinesischen Kultur verglichen, erklärten und verbanden, und teilweise auch darauf, wie sie die Rolle und den Nutzen des Christentums für die Entwicklung Chinas sahen.
Wir danken Professor Zhuo für die freundliche Erlaubnis, sein Vortragsmanuskript mit dem Titel „Tianzhujiao Zhongguohua sixiang de lishi fazhan“ 天主教中国化思想的历史发展 zu übersetzen und zu publizieren, und Professor Leopold Leeb (Renmin University of China) für die Übersetzung aus dem Chinesischen. Anmerkungen des Übersetzers und der Redaktion sind als solche gekennzeichnet, Ergänzungen im Text stehen in eckigen Klammern.
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